Drei Männer spielen sich die Bälle zu. Der Institutionsleiter stellt die beiden anderen vor. Sie haben eine beeindruckende akademische Laufbahn hinter sich und beteiligen sich seit Jahren am gesellschaftlichen Kunst-Diskurs, indem sie Bücher veröffentlichen und Beiträge für kulturelle Medien verfassen. Der eine hat gerade wieder ein neues Buch herausgebracht, das an diesem Abend vorgestellt werden soll. Der andere hat eine kritische Position dazu eingenommen und nun sollen die Thesen des Buches in einem Streitgespräch erörtert werden. Das Publikum, sehr viele Künstler und Künstlerinnen, sitzt erwartungsvoll auf seinen Stühlen im Hof. Wie immer hat der Autor für sein neuestes Buch wieder einen plakativen und provozierenden Titel gewählt: Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie. Einig sind sich beide Kontrahenten in der Beobachtunng, dass die Entwicklung der digitalen Medien und der Sozialen Plattformen zu einer Veränderung künstlerischer Ausdrucksformen und der Distribution von Kunst geführt hat. Der Dissens besteht im Wesentlichen darin, dass der Herausforderer dem Autor vorwirft, diese Entwicklung weitgehend unkritisch gutzuheißen und die damit verbundene kommerzielle und politische Vereinnahmung der Kunst zu promoten, ihre bisherige Autonomie als Phänomen einer kurzen geschichtlichen Periode darzustellen, die sich überholt hat. Wie immer bekennt sich der Autor dann doch nicht ganz zu dieser steilen These, weiß von seinen zahlreichen Atelierbesuchen zu berichten, dass eine Mehrheit der zeitgenössischen Künstler sich in einer Art Autonomie eingerichtet haben und verweist darauf, dass sein Arbeitstitel anders lautete, nämlich „Angepasst“, worin doch eine leichte Kritik an der Entwicklung von digitalen Marken und Art-toys mitschwinge. Im Folgenden wird versucht den Begriff der Autonomie zu klären. Große Namen der letzten 200 Jahre werden bemüht. Schiller, Kant, Duchamp, Reinhardt, Koons und Hirst. Kleine Störungen funken dazwischen. Wie war das mit der Salonmalerei Ende des 19. Jahrhunderts, die war doch ganz offensichtlich auch nicht autonom. Der Kritiker gibt sich als Idealist, der die Fahne einer konzeptionellen künstlerischen Autonomie weiterhin hochhalten will, die er als Definitionsmacht des Künstlers über sein Werk versteht. Als etwas fragwürdiges Beispiel bringt er eine unbekannte Stillebenmalerin, die mittlerweile ökonomisch autonom ihre Bilder an internationale Fans auf Ebay verkauft. Mehr und mehr outet er sich als Anhänger einer gesellschaftlichen Vision von freien Individuen, die im künstlerischen Tun ihre Freiheit beweisen. Natürlich erst dann, „wenn in unserer liberalen Demokratie der Wohlstand nach dem Krieg durch die fortschreitende Digitalisierung so gestiegen sein wird, dass wir uns ein Grundeinkommen leisten können“. Schöne Illusion. Meine Nachbarin zur Linken, eine Malerin, kann der Diskussion ganz offensichtlich nicht folgen – zu abgehoben die ganzen Argumente und Beispiele. Als das Publikum endlich Fragen stellen darf, melden sich nur Männer, mit weiteren sehr schlauen Proben ihrer Belesenheit. Ein Medienvertreter bringt immerhin die Problematik der zunehmenden Cancel Culture ins Spiel, welche die Freiheit der Kunst insgesamt in Frage stellt. Der Autor wiegelt ab anhand von Beispielen aus dem Moma New York. Eine Professorin der UdK, die mit einer Studentengruppe anwesend ist, meldet sich in letzter Minute auch noch zu Wort, dafür mit geballten Fragen: Gibt es eine Anleitung für künstlerischen Erfolg? Und was verstehen die Herren unter ‚Glück“? Mein Begleiter ruft plötzlich über die Köpfe des Publikums, dass das alles unglaublich irrelevant sei, ja, er steht auf und geht nach vorn, um den drei Herren auf dem Podium ihre Ignoranz gegenüber den eigentlich wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen vorzuwerfen. Warum redeten sie nicht über die unglaublichen aktuell in Kraft tretenden Überwachungs- und Zensurgesetze …? Das Publikum scheint wach zu werden und lauscht erwartungsvoll. Aber der Insitutsleiter ordnet diese Störung reflexartig einem missliebigen politischen Spektrum zu und bricht die Diskussion sofort ab. Mein Begleiter entfernt sich fluchend, während ich etwas verlegen zurückbleibe und seine Aktion zu vermitteln versuche.
Kunst / Autonomie

Eine Antwort auf „Kunst / Autonomie“
Aktivismus und Kunst gehen in den vergangenen Jahren eine immer stärkere Verbindung ein. Die Kulturalisierung des Politischen führt mehr denn je zur breiten Nutzung künstlerisch-kreativer Methoden zur Verhandlung und Verbreitung politischer Botschaften – auf den unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums. Künstlerische Gruppen oder Initiativen nutzen Techniken künstlerischer Interventionen, Happenings und Inszenierungspraktiken, um Aufmerksamkeit auf gesellschaftspolitische Fragen zu richten und dadurch Meinungen zu beeinflussen. Man könnte allerdings auch von Instrumentalisierung sprechen.