Schon im Vorfeld ging das Gerede wieder los – von der Krise in Köln. Ist der Standort noch zu retten? Darf die Mutter aller Kunstmessen wieder in der Oberliga mitspielen? Der Trainer-Wechsel von Goodrow zu Hug – quasi mitten in der Saison – startet eine neue Aufmerksamkeitskampagne und bedient einmal mehr die Spalte Klatsch und Tratsch in den Feuilletons. Dort steht die Kölsch-Connection wie die Wacht am Rhein und redet sich schöner denn je. Aber das ist nichts als Pfeifen im Wald. Zu dicht besetzt ist der Terminkalender der internationalen Zielgruppe, als dass man die Global Player mit dem Immergleichen noch an den Fluss locken könnte. Fehlen aber die glamourösen Namen des Kunstbusiness, bleibt auch der ersehnte Beutezug der Kollektorenelite aus. Ein Teufelskreis! Jetzt fordern wieder alle den Ruck: Bitte mehr! Mehr Qualität, mehr Profilierung, mehr Glamour.
Dann vor Ort in Köln. War im Vorjahr deutlich erkennbar, dass man die Lücken in den Gängen mit Drittklassigem aufgefüllt hatte, wirken die Hallen in diesem Jahr mit einer verminderten Anzahl von 150 Galerien deutlich konzentrierter. Die Mannschaftsaufstellung folgt der bewährten Doppelspitzen-Strategie: hier der etablierte Kunsthandel mit vom zweiten Markt zurückgeschleuster Ware (Hidden Treasures), dort der Frischzellen-Bereich (New Contemporaries und New Talents), dazwischen einiges All Inclusive, überwiegend Malerei und Fotografie, wobei die neu hinzugewonnene Palma-de-Mallorca-Fraktion nicht immer zur Qualität beiträgt.
Der besondere Kölner Joker liegt im sogenannten Open Space. Die Auflösung des allzu merkantilen Kojen-Konzepts soll den Besuchern hier – wie schon im letzten Jahr – eine lockere Ausstellung suggerieren. Lässige Trash-Installationen, Retro-Collagen, Videoscreens und Projektionen vermitteln „mit teils konformen, teils anarchistischen Gestaltungsmitteln“ fast schon Biennale-Atmosphäre. Die Zuordnung zu Künstlern und Galerien findet verschämt im Fußbereich der Lounge-Objekte statt. Wären da nicht die Sell Cells in beige-brauner Kistenoptik („Könnten Sie sich dieses Werk in Ihrem Flur vorstellen?“), man würde den schnöden Kommerzgedanken glatt vergessen. Und dann der ebenso rein wie edel weiße Teppichboden: In einer Umkehrung des White-Cube-Prinzips lenkt er den Blick auf die Besucher und betont ihren Anteil am Event. Lifestyle statt Aura – das ist Ambientwerbung der Extraklasse. Erneut wird diese strategische Anordnung vermutlich nicht ausreichen, um die wachsenden Geldströme des globalisierten Kunstmarktes über Köln zu leiten. Sage mir wo Du kaufst, und ich sage Dir wer Du bist. In der Image-Hierarchie von Messestandort, Galerie und Künstler, kommt für den internationalen Kollektoren-Jetset das Kunstwerk ganz zum Schluss.
In umgekehrter Proportion zur zunehmenden Komplexität der Welt, ist die Ware Kunst nur dann erfolgreich, wenn sie sich in der Flut des Angebots schon beim ersten Hinsehen erschließt oder bereits große Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte und so Wiedererkennbarkeit produziert.
Dass Lesbarkeit und subtil ambivalente Bedeutung einander nicht ausschließen müssen und auch leise Arbeiten große Kraft entfalten, ist im Messekontext jedes Mal ein Wunder.
Die Sonderschau Global EurAsia in Halle 4.2. überrascht mit inhaltlichen Verknüpfungen zwischen den Kontinenten und über einen Zeitabschnitt von vierzig Jahren. Überschaubar, klassisch museal präsentiert, bleibt sie als Highlight in Erinnerung. Insbesondere die Dia-Projektion der Koreanerin Haegue Yang (1971*) Illiterate Leftovers (2004) prägt sich ein: scheinbar pure Lichtrechtecke, die sich bei genauerem Hinsehen als 80 leere Faxseiten entpuppen und nur an den Rändern eine kryptische Kennung, Datum und Uhrzeit tragen. Mit jedem Klicken des Projektors wächst der Vorrat sinnentleerter Bilder. Das Kommunikationsmedium ist funktionsfähig, die Kommunikation jedoch ohne Inhalt. Im Open Space präsentieren M + M (Marc Weis, 1965*, Martin De Mattia, 1963*) bei Baukunst Galerie Köln die Audio-Installation Torrance-Raum – eine unspektakulär mit Tapete und blauem Teppichboden inszenierte Wohnzelle. Eine markante Stimme (Jörg Plewa) füllt die Leere und wiederholt mit leicht drohendem Unterton das Sprichwort „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Sofort stellt sich das Bild des irre gewordenen Schriftstellers Jack Torrance in Kubricks Kultfilm Shining ein, der abgeschnitten von der Welt, einsam in der riesigen Halle des Overlook-Hotels sitzend, Seite um Seite auf seiner Schreibmaschine mit diesem einen Satz füllt. In der Ablenkungs- und Zerstreuungmaschinerie des Messebetriebs wirkt die Arbeit wie ein virtueller Link zum alltäglichen Wahnsinn der (nicht nur künstlerischen) Existenz.
Dieser Artikel erschien erstmals online auf Kunst-Blog.com, Berlin im Mai 2008 Abbildung aus Silvia Beck, Seen-Magazin, bdv Berlin, 2008